Dies Domini – Fünfter Fastensonntag, Lesejahr C
Wie es im Evangelium heißt, so wäre es – hoffentlich – auch heute: keiner hat einen Stein geworfen, nachdem Jesus zur Auflage gemacht hat, dass nur derjenige einen Stein werfen darf, der selbst ohne Sünde ist. Die Selbstreflexion, die Jesus damit bezwecken wollte, hat also funktioniert, die Menschen haben eingesehen, dass es ihnen nicht zusteht, jemanden anderen wegen seiner Fehlleistungen zu verurteilen und zu bestrafen, da sie selber nicht frei davon sind, gelegentlich auf Irrwege – manchmal Feldwege und manchmal mehrspurige Autobahnen – zu gelangen.
Dennoch ist dies eine Herausforderung.
Es gibt so viel Unrecht in dieser Welt, auch solches, das von einzelnen Menschen ausgeht – und die sollen ungeschoren davon kommen? Ist tatsächlich das gemeint? Die Menschen gehen weg und werfen keinen Stein und auch Jesus verurteilt die Ehebrecherin nicht.
Jesus relativiert nicht, sondern sagt ganz klar: wer von euch OHNE Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Er sagt nicht: wer von euch nur kleine Fehler macht, der darf andere Menschen wegen größerer verurteilen, sondern rigoros: keine Selbstjustiz, sogar, obwohl die damals geltende Gesetzeslage, oder die Auslegung des Gesetzes, das Mose ihnen gegeben hatte, es so vorgeschrieben hätte. Dies entspricht auch unserem heutigen Verständnis eines Rechtsstaates, dass niemals ein Mensch einen anderen verurteilt, sondern nur ein Vertreter des Staates; ein Richter urteilt nicht in seinem Namen, sondern „im Namen des Volkes“ auf der Grundlage eines demokratisch beschlossenen Gesetzes. Soviel also zur offiziellen Seite. Da sind wir durch unsere Rechtsstaatlichkeit abgesichert. Aber wie sieht es aus mit der inoffiziellen Verurteilung eines Menschen durch andere Menschen? Vielleicht ein Anstoß darüber einmal nachzudenken, wie schnell man jemanden in eine Schublade gesteckt hat; um dann vielleicht den Schlüssel für diese Schublade noch einmal herauszuholen und in einem verzeihenden Blick auf den Mit-Menschen zu blicken. Jesus, der wohl als einziger den Stein hätte werfen „dürfen“, verzichtet darauf und sagt:
„Auch ich verurteile dich nicht.“ (Joh 8,11)
Welch Erleichterung für die Frau dies gewesen sein muss, kann man nur erahnen. Sie hat einem wütenden Mob gegenübergestanden und dem Tod schon ins Auge geblickt und dieser Jesus, der eigentlich nur selbst auf die Probe gestellt werden soll –
„Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen.“ (Joh 8,6) –
rettet sie davor. Sie bekommt das Leben und die Vergebung geschenkt. Freilich mit der Hinzufügung:
„Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ (Joh 8,11)
Es geht also nicht um eine Art Freibrief, man kann tun und lassen, was man möchte, es wird sowieso alles verziehen, sondern vielmehr darum, sein Leben kritisch zu reflektieren und wenn man Fehler erkannt und eingesehen hat, sie in Zukunft zu vermeiden.
Nicht zufällig wird dieser Evangelientext in der Vorbereitungszeit auf das Osterfest vorgetragen, denn diese Zeit soll besonders dazu genutzt werden, sich darauf zu besinnen wie man lebt, auf was man Wert legt, was von einem unbeschwerten Umgang mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und mit Gott abhält und an welchen Stellen auch nachjustiert werden muss. Dies gilt für die ganze menschliche Dimension, also für den Blick auf das eigene Leben und den auf das der Menschen in meiner Umwelt. Das Beispiel der Ehebrecherin ist ein guter Anhaltspunkt für etwas, das auch heute immer wieder geschieht: es wird eine Sache einseitig und ohne Kenntnis der Hintergründe betrachtet, verurteilt und sanktioniert. Auch ein Auftrag für uns alle: zu versuchen, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, Verständnis auch für Situationen aufzubringen, die im ersten Moment als eindeutig falsch ausgemacht werden – womit keinesfalls gesagt werden soll, dass es nicht Verhaltensweisen gibt, die auch auf den zweiten Blick und selbst noch auf den 1000. so falsch bleiben, wie etwas nur falsch sein kann. Sowohl im zivilgesellschaftlichen Umfeld als auch innerhalb der Kirche werden sicher eine ganze Reihe solcher Beispiele gefunden werden können. Und dennoch bleibt gültig, was Jesus sagt:
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7)
Das macht aus Unrecht kein Recht, aber es relativiert die eigene Urteilsfähigkeit. Taten (und auch Un-Taten), Worte und Verhaltensweisen dürfen durchaus als falsch erkannt und benannt werden. Aber es geht – wie es im Philipperbrief heißt:
„nicht [um] meine eigene Gerechtigkeit, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt.“ (Phil 3,9)
Wir dürfen mutig sein, diesen Glauben zu bekennen, denn der Psalm dieses Sonntags eröffnet ein hoffnungsvolles Bild:
„Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel. (…) Ja, Großes hat der Herr an uns getan. Da waren wir fröhlich. Wende doch, Herr, unser Geschick wie du versiegte Bäche wieder füllst im Südland. Die mir Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Sie gehen hin unter Tränen und tragen den Samen zur Aussaat. Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein.“ (Ps 126,2ff.)
Diesen Mut – auch in schweren Zeiten – erfüllt von der Botschaft Gottes zu sein, die uns herausfordert, aber auch befähigt, Zeugen zu sein – für eine Zeit, in der die Garben mit Jubel eingebracht werden können und die, wenn man genau hinschaut, schon angebrochen ist – man muss die Herrlichkeit nur mancherorts und bisweilen noch freilegen. Dafür reicht nicht immer ein Staubwedel, manchmal muss es auch ein Presslufthammer sein.
Katharina Nowak
Author: Katharina Nowak
Katharina Nowak ist Diplom Theologin. Sie studierte in Bonn und arbeitet seit 2009 als theologische Assistentin bei der Katholischen Citykirche Wuppertal.
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